Architektur Geschichte Theorie
Das vielzitierte Bonmot von Karl Kraus über den Unterschied zwischen der Urne und dem Nachttopf zielt auf eine der zentralen Fragen, der sich die Architektur immer wieder stellen muss. Wenn das Bauen um die Befriedigung mehr oder weniger handfester materieller Bedürfnisse geht, oder um die Realisierung immobilienwirtschaftlicher Potenziale, wie und wo werden die Resultate dieser Aktivität zu kulturellen Bedeutungsträgern? Ist der Unterschied zwischen Baukunst und dem Schaffen von Gebrauchsräumen so sauber zu definieren? Wo wäre dann die Grenze zwischen hoher Kunst und Dienstleistung, zwischen der alltäglichen Praxis und der Architektur als intellektueller Disziplin?
Dass Gebäuden (Städten, Landschaften, Möbeln, Dingen ...) Bedeutungen zugemessen werden, ist mehr oder weniger empirisch zu belegen. Dass sich diese Bedeutungen aus allerlei Zusammenhängen - sichtbaren wie verborgenen - ergeben, kann ebenso wenig bezweifelt werden. Die Beschreibung und Interpretation der Bedeutung von architektonischen Objekten und Räumen ist eine Frage nach den Bezügen zwischen der materiellen Realität und kulturellen Erwartungen oder Preoccupations. Diese zu untersuchen, bisweilen aufzudecken und zu enthüllen, ist das Anliegen der Architekturgeschichte und –theorie. Dabei geht es auch darum, eine Sprache zu finden, die diese Zusammenhänge präzise, und möglichst mit einer gewissen Poesie, beschreibt.
Wir verstehen die Lehre und Forschung der Architekturgeschichte und –theorie als eine Form des Entdeckens. Eine Neugierde nach den Ideen, den Mentalitäten, den Zwängen und den Freiheiten, die in den Dingen, den Gebäuden und Konstruktionen verfasst sind.
Wo nun befindet sich die Architekturtheorie und –geschichte in der Lehre an einer Universität, in der nicht Publizisten oder Historiker ausgebildet werden, sondern Entwerfer? Zum Einen geht es selbstredend um die Vermittlung von Kenntnis historischer und theoretischer Bezüge. Sie ist Teil der Praxis der Universität als einer „kritischen Denkschule“. Fragen, die wir stellen, sorgen selten für eine größere Effizienz. Eher sind sie eine Schule des Zweifels, manchmal auch der Langsamkeit, einer notwendigen Verzögerung und der kritischen Prüfung des Berufsverständnisses.
Die Widersprüche, die unsere Untersuchungen offenlegen, sind genauso auszuhalten wie die Widersprüchlichkeiten in der Interpretation selbst. Das Bild, das wir vom architektonischen Objekt behalten, ist notwendigerweise unvollständig und gleiches gilt noch mehr für das Bild der Architektur als Disziplin. Was sich uns erschließt sind jedoch die Manöver der Auftraggeber, die Hypothesen der Entwerfer, die technischen und symbolischen Horizonte, die Organisation der Entwurfsarbeit und der Realisierung und, vielleicht vor Allem, die oft widerspenstige Wirklichkeit der Aneignungs- und Ablehnungsstrategien derjenigen, welche die Räume nutzen oder missbrauchen, und in ihnen leben.
zuletzt bearbeitet am: 20.02.2023